Anlässlich meines neuen Buchs „Schockwellen“ habe ich ein Interview in der Augsburger Allgemeinen gegeben, in dem ich auch auf die Tatsache hinwies, dass Bayern in Punkto Ausbau erneuerbarer Energien erheblichen Nachholbedarf hat. Daraufhin bekam ich einen Brief von der CSU, Herrn Huber, in dem er mir vorwirft, ich würde (im Interview mit der AA) Fakten verdrehen. Bayern sei führend bei den Erneuerbaren Ener­gien. Hier der Brief von der CSU 👇

Brief von der CSU Herrn Huber vom 08.02.2023

Wegen des Poststreiks hat er mich erst am 18.2. erreicht

und meine Antwort darauf vom 22.2.23

Antwort Kemfert an CSU Huber

Sehr geehrter Herr Huber,

herzlichen Dank, dass Sie sich im Wahlkampf die Zeit für diesen langen Brief genommen haben. Wie schön, dass Sie das Thema Energiewende so ernst und wichtig nehmen! Ganz besonders freut mich, dass Sie den Ehrgeiz entwickeln, im innerdeutschen Erneuerbare-Energien-Vergleich an die Spitze der Bundesländer vorzustoßen. Solchen Ehrgeiz brauchen wir. Allerdings brauchen wir dabei auch eine ehrliche Bestandsaufnahme.

Zahlreiche Studien zeigen, wo Bayern in puncto Erneuerbare Energien aktuell steht und welch ungenutztes Potenzial das Land hat. So belegen zum Beispiel unsere sechs DIW-Studien von 2008 bis 2019, dass Bayern große Potentiale im Bereich der erneuerbaren Energien hat, diese aber leider nicht ausschöpft. Die unzureichenden Entwicklungen stellen nicht nur Bayern, sondern den Strom- und Energiemarkt in ganz Deutschland vor besonders große Heraus­forderungen.  Bayern steuert sehenden Auges in eine Ökostromlücke, die erhebliche Versorgungsunsicherheiten in ganz Deutschland nach sich zieht, wie jüngst auch der Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber zeigte.

Die bittere Wahrheit:

Weder ist Bayern führend im Bereich erneuerbaren Energien, noch erfüllt das Land seine selbst gesteckten Energiewende-Ziele: So prüft beispielsweise die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) für den Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (VBEW) regelmäßig nach, ob Bayern die selbst gesteckten Energiewende Ziele erreicht. Ergebnis: Bayern ist bei keinem einzigen Indikator der Energiewende auch nur ansatzweise im Plan. Vor allem der Zubau der Windkraft in Bayern ist ein Desaster. Nur rund 5 % des erforderlichen Anlagenzubaus wurde im Jahr 2021 erreicht. Dass Bayern erheblichen Nachholbedarf zur Erreichung der Energiewende-Ziele hat, ergaben verschiedene Studien der DIW Econ GmbH (ein Consultingunternehmen des DIW Berlin).

Ihre Aussage, dass Bayern im Hinblick auf die reine installierte Leistung der erneuerbaren Energien unübertroffen sei, ist irreführend und Rosinenpickerei. Sie stimmt nur, wenn man den Blick sehr verengt. Bayerns Anteil an den Erneuerbaren – sowohl beim Bestand als auch beim Zubau – entfällt fast komplett auf Solarenergie. In einem fairen Ländervergleich muss die installierte Leistung der erneuerbaren Energien in Relation zur Fläche eines Landes oder zur Bevölkerungszahl berechnet werden. Bayern ist flächenmäßig das größte deutsche Bundesland. Betrachtet man die installierte Leistung der erneuerbaren Energien pro Quadratkilometer, liegt Bayern nur im hinteren Mittelfeld im Ranking der Flächenländer.

Zudem ist der Hinweis auf die absolute installierte Leistung insofern irreführend, als dass sie lediglich die maximal mögliche Leistung einer Anlage benennt und außen vor lässt, wie viele Stunden sie mit welcher Leistung tatsächlich in Betrieb ist. Da Solarenergie nachts und im Winter wenig Leistung liefert, kommen Solaranlagen hierzulande nur auf etwa halb so viele Volllaststunden pro Jahr wie Windräder. Sie überschätzen somit mit Ihrem insgesamten Blick auf die installierte Leistung der Erneuerbaren Energien den Beitrag der Solarenergie.

Das Schlimmste ist aber: seit Einführung der Windenergie- Abstandsregel (10-H Regel) ist das nutzbare Windenergiepotential in Bayern um rund 90 Prozent gesunken. Im letzten Jahr sind 14 (!) Windanlagen ans Netz gegangen, bei etwa der Hälfte betrug die Planungszeit durchschnittlich 10 Jahre. Von einem hohen Tempo beim Ausbau kann da wohl kaum die Rede sein. Um die gesteckten Energiewende- Ziele zu erreichen, wäre ein Zubau von 2 großen Windanlagen pro Woche notwendig! Von diesem Ziel ist Bayern meilenweit entfernt.

Der unzureichende Zubau der erneuerbaren Energien wird vor allem in der bayrischen Industrie kritisch gesehen. So mahnte im Ausschuss für Umwelt und Verbraucherschutz des Bayerischen Landtags im September 2022 neben zahlreichen Verbänden wie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) oder der Bayerischen Industrie- und Handelskammer (BIHK) auch ein Vertreter von Wacker Chemie eindringlich einen deutlich schnelleren Ausbau aller erneuerbaren Energien an. Völlig zu Recht weisen die Industrievertreter darauf hin, dass die wirtschaftlichen Vorteile der erneuerbaren Energien in Bayern enorm sind und Bayern vor allem aufgrund des unzureichenden Zubaus der erneuerbaren Energien unter hohen Energiepreisen zu leiden hat. Der unzureichende Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein erheblicher Standortnachteil für Bayern.

Auch Bayerns Führungsanspruch beim Wasserstoff wird nicht durch Realität belegt. Bisher hatte Bayern bis 2021 nicht einen Großelektrolyseure installiert, notwendig sind insgesamt 125 Stück, pro Woche wären dies 5 Elektrolyse Container. Und der Leuchtturm Wunsiedl wurde erst im Nachhinein mit Forschungsgeldern ausgestattet, nachdem das Industriekonsortium dort jahrelang auf Versprechen aus München gewartet hatte. Derzeit steht auch diese Anlage still. Fakt ist zudem, dass das von Ihnen angeführte Chemiedreieck nach wie vor keinen Anschluss zum Wasserstoffnetz hat und dies auch in den Plänen der Fernleitungsnetzbetreiber für ein Wasserstoffnetz 2030 bisher nicht vorgesehen ist im Rahmen des Netzentwicklungsplanes Gas. Auch dies ist ein erheblicher Standortnachteil.  Zum Vergleich: die 5 norddeutschen Bundesländer haben im Gegensatz dazu längst seit Jahren gemeinsame bundesländerübergreifende Wasserstoffstrategien. Dadurch ergeben sich nicht nur deutlich mehr Forschungs- sondern auch nachweislich mehr Anwendungsprojekte. Bayern droht auch hier den Anschluss zu verlieren. Das ist ein weiterer erheblicher Standortnachteil.

Ich kann verstehen, dass es Ihnen schwerfällt, die eher enttäuschenden Fakten im Wahlkampf nach außen vertreten zu müssen. Aber lieber mit hochgekrempelten Ärmeln redlich und richtig loslegen, als mit beschönigenden Zahlen. Wenn es Bayern gelänge, aus der aktuellen Position im hinteren Mittelfeld wirklich auf die Poleposition vorzustoßen, wäre die Leistung doch umso eindrucksvoller. Deswegen möchte ich Sie ermutigen: Starten Sie mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme und bringen Sie dann Ihr Heimatland an die Spitze! Es gibt hervorragende Forscher:innen in Bayern, welche die hier verlinkten Studien erstellt haben. Die Kolleg:innen unterstützen Sie sicher gern bei dem notwendigen Kraftakt für eine wirkliche Energiewende auch und gerade in Bayern.

Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Ihre

Prof. Dr. Claudia Kemfert